Haus mit Geschichte
Villa Schilbach reloaded
Residieren, protzen, feiern, tagen, verbauen, verunstalten, mustern, ausmustern, richten, verurteilen, heiraten, scheiden - kann man all das an einem einzigen Ort? Man kann. In einer Villa in Greiz.
1889. Greizer Neustadt. Ecke Ost- und Querstraße: Ein großes Medaillon aus Sandstein mit den Initialen 'ES' dokumentiert an der Fassade, wer sich hier ein Denkmal setzt: Der Greizer Textilfabrikant Ernst A. Schilbach errichtet das prestigeträchtige Palais für sich und seine Familie als privates Wohnhaus. Der betuchte Kaufmann beauftragt die Greizer Baufirma Golle & Kruschwitz. Das Team erfüllt jeden Wunsch, den ein ambitionierter Bauherr damals haben kann: vom Entwurf bis zur Ausführung. Golle & Kruschwitz beherrschen die Spielarten des Historismus ebenso wie die aktuelle Bautechnik und sind auch in vornehmer Innenraumgestaltung versiert.
Pomp & Understatement: Ein Millionär setzt sich ein Denkmal
Was die Originalpläne ankündigen, wird allerdings nicht ausgeführt. Die Ornamentorgien werden eingedampft, die Fassade für gründerzeitliche Verhältnisse am Ende eher zurückhaltend gegliedert und geschmückt. Sie fällt schlicht aus und dadurch zugleich erstaunlich modern und edel; spielt weniger mit der Form, sondern vertraut auf das Material selbst: warmer, roter Klinker kombiniert mit hellem Sandstein. Offenbar klassisch bürgerliches Understatement: Die Prachtentfaltung findet im Inneren statt.
Quadratisch & praktisch: Box in der Box
Golle & Kruschwitz folgen dem Geschmack der Zeit und organisieren den Grundriss für das Palais äußerst rational. Die Grundidee: 'Box in der Box'. Ein innenliegendes Rechteck wird von einem äußeren Rechteck ummantelt: ein gigantisches Treppenhaus u-förmig von den einzelnen Räumen umgeben. Die laden wiederum selbst zum Rundgang ein. Das Erdgeschoss: ganz repräsentativ mit Loggia, Boudoir, Speisezimmer, Salon und Herrenzimmer. Das Obergeschoss: eher intim mit Schlaf-, Wohn- und Gästezimmern, sowie Bad und Ankleide.
Geniale Raumverschwendung: Repräsentation ist alles!
Das Treppenhaus - es ist Zentrum und Herzstück des Gebäudes: Vermittelt durch eine kleine Vorhalle, die den Raum zunächst dramaturgisch geschickt verengt, betritt man ein luxuriös dimensioniertes Vestibül für dessen Ausstattung das Beste gerade gut genug ist: Granitstufen, schmiedeeiserne Geländer, üppiger Deckenstuck und aufwändige Ölwachsmalereien.
Hoch hinaus: Luxuriöse Dimensionen
Hier wird selbstbewusst und mutig Raum 'verschwendet' - getreu dem Motto: 'Repräsentation ist alles!' - Ein grandioses Feuerwerk, eine pompöse Ouverture mit außerordentlichem Anspruch. Diesen Anspruch auch in den angrenzenden Räumen wieder einzulösen, wird zur Herausforderung. Doch Salon, Boudoir & Co müssen sich nicht verstecken. Schilbachs Dekorateure feuern auch hier das komplette Programm ab: Filigrane Stuckdecken schweben über dekorativen Tafelparkettböden, vermittelt durch edle Stofftapeten, die die Räume in seidig-morbiden Glanz hüllen.
Gesellschaftsfähig: Raumfluchten ohne Ende
Lange können sich die Schilbachs nicht über ihr prächtiges Haus freuen. Anfang des 20. Jahrhunderts wird das Palais zum 'Landbundhaus Greiz'. Ein Zeitzeuge hält 1925 in seinen Notizen fest: Nach Überschreiten der Carolinenstraße winkt das Ecke Quer- und Oststraße gelegene 'Landbundhaus' den Durstigen zur Einkehr in seine stilvollen Gasträume. Hausherr ist jetzt ein gewisser Bernhard Schneider. Er bietet fortan vorzügliche Küche, angenehme Familienaufenthalte, Konferenzzimmer - und als besonderen Service: den Ausschank hiesiger und echter Biere.
Gastliches Gebäude: Villa goes "Landbundhaus"
Stürmische Zeiten: Versiegeln und ersticken
In den 30er Jahren rückt unter den Nationalsozialisten schließlich die 'Kreisbauernschaft' nach, ehe nach dem Zweiten Weltkrieg das 'Wehrkreiskommando' Zuflucht sucht. Eine Behörde, die ähnlich wie die Kreiswehrersatzämter im Westen, die Aufgabe hat, Wehrpflichtige in der DDR zu mustern und auszumustern. Eine eher nüchterne Truppe, die wenig bis keine Wertschätzung für gründerzeitlichen Pomp und Repräsentation mitbringt. Dementsprechend rabiat verfährt sie mit dem Haus: Der komplette Deckenstuck im Obergeschoss wird abgeschlagen, Flügeltüren demontiert, Türdurchgänge verschlossen, Wände abgerissen oder neu eingezogen, Eichenparkett mit PVC-Belag 'erstickt', originale Wand- und Deckenfassungen mit Latexfarben 'versiegelt', Fenster vergittert und vermauert. Die Herrschaften vom Greizer Kreisgericht vollenden in den 60er Jahren schließlich das Werk. Dort, wo Schilbachs früher tafelten, sprechen DDR-Richter nun Recht bzw. Unrecht. Urteilen in Zivil-, Familien-, Arbeits- und Strafrechtssachen und funktionieren zwei einst 'unschuldige' Abstellkammern im Dachgeschoss um zu stickigen Arrestzellen.
Tod auf Raten: Rückzug und Verfall
Anfang der 90er Jahre wird es still in der Villa Schilbach. Die letzten 'Bewohner' verlassen das inzwischen komplett heruntergewirtschaftete Gemäuer. Erst im 21. Jahrhundert weht wieder frischer Wind.
Willkommen zurück: Der Patient erwacht
Was nach intensiven 'Wiederbelebungsmaßnahmen' unter den 'schichtstarken Überzügen' zum Vorschein kommt, kann sich sehen lassen: Ein selbstbewußtes Zeugnis gründerzeitlicher Architektur. Ein genialer Wurf - auf Augenhöhe mit noblen Gebäuden in den exklusivsten Villenvierteln der Repubik: egal ob Berlin oder Potsdam, Leipzig oder Dresden.
Die Villa Schilbach - ein Dokument für die kulturhistorisch herausragende Stellung Greizer
Gründerzeitarchitektur. 2014 wurde das Objekt mit dem Denkmalschutzpreis des Landkreises Greiz ausgezeichnet. 2015 mit der Greizer "Neustadtperle", dem Attraktivitätspreis der Interessengemeinschaft "Greizer Neustadt e.V."
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